„Was wunderst du dich?“, fragte mich ein Freund schon vor einigen Jahren, als ich mich darüber monierte, wie leichtfertig die vor allem jüngere Öffentlichkeit bestimmte Entscheidungen hinnahm, die eigentlich großen Protest hätten verursachen müssen.
„70 Jahre kein Krieg, da verändert sich alles. Die Einschätzung von Gefahren wird zu einer theoretischen Übung und eine daraus resultierende Motivation dagegen etwas zu tun, wird von einer allgemeinen Lethargie übertrumpft.“
Heute, nur wenige Jahre später, muss ich diesem Freund recht geben und ein Phänomen hinzufügen, das in den zurückliegenden Jahrzehnten als solches nur selten thematisiert wurde: Die psychologisch-mediale Vermittlung von Zeitgeschehen hat eine Dimension angenommen, die den Begriff der Propaganda als nostalgischen Begriff erscheinen lässt.
Das Zeitalter des Post-Heroismus
Aber ich komme ab von einigen Stereotypen, die ebenso prägend sind für das post-heroische Zeitalter, in dem wir uns befinden. Nur kurz zur Erklärung: Post-Heroismus ist dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Individuen kaum noch dazu zu motivieren sind, sich selbst für etwas Übergeordnetes zu zerreißen, geschweige denn zu opfern. Das muss nicht die Nation sein, denn dann spräche man vielleicht sogar von einem Akt der Vernunft, aber es kann durchaus den Charakter der Allgemeinheit annehmen, in Form einer Stadt, des politischen Gemeinwesens, der Familie oder sogar einer Initiative oder eines Vereins.
Dieser Post-Heroismus hat vielfältige Ursachen und es liegt mir fern, die Überlegung als eine Schelte enden zu lassen.
Was dem Phänomen zugrunde liegt, ist unter anderem ein Verlust sinnstiftender Identität. Denn nur, wenn ich als Individuum glaube, dass etwas Übergeordnetes so wichtig für mich ist, dass meine Existenz davon abhängt, dass es mir Kraft gibt, Sicherheit und Freude spendet und mich in Notsituationen nicht alleine lässt, bin ich bereit, in gleicher Weise zurückzuzahlen. Glaube ich nicht an diesen Zusammenhang, dann identifiziere ich mich exklusiv mit meiner eigenen Existenz und werde zu einem partikularen Wesen, das relativ beschränkte eigene Interessen aufweist, für mich selbst eine alles überragende Bedeutung hat, mit dem Gemeinwesen allerdings in keiner notwendigen Beziehung steht.
Bis zur Erosion des Zusammenhalts
Wenn das Gemeinwesen aus vielen der beschriebenen Individuen besteht, sind seine Perspektiven nicht nur sehr begrenzt, sondern es ist existenziell ebenso gefährdet. Folglich ist der Schluss zulässig, dass das Gemeinwesen der post-heroischen Gesellschaft existenziell gefährdet ist, wenn der Begriff des Post-Heroischen reduziert wird auf einen Begriff wie Patriotismus (der aktuell allerdings in seiner schäbigsten Form von der Fraktion der Kriegstreiber und Moralisten missbraucht wird). Denn, bleiben wir bei dem Begriff, wahrer Heroismus besteht in der Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Mitmenschen.
Auch diese Facette der gesellschaftlichen Betrachtung findet im Fußball seinen Niederschlag.
Man mag zu der laufenden WM stehen, wie man mag. Auch sie stellt Fragen, die nicht nur den Nerv der Zeit, sondern auch den unseres Daseins treffen. Das beginnt mit der schrankenlosen Profitmaximierung und der sie begleitenden Korruption, das bezieht sich auf die Opfer dieses Prinzips, es bezieht sich auf den Umgang unterschiedlicher Gesellschaften miteinander, es bezieht sich auf die erotisierende Wirkung von Aufmerksamkeit und Skandal, und es bezieht sich auf die Erosion gesellschaftlichen Zusammenhalts. Dort, in der Wüste, treffen die Konzepte aufeinander. Sehen wir, wie es um den Post-Heroismus steht.

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.
Foto: Michaela Baum (Unsplash.com)
Eine Antwort auf „Post-Heroismus: Doch noch ein Kommentar zum Fußball“
Post-Heroismus? Die meisten Menschen sind eh nicht zum Helden geboren. Außer „70 Jahre kein Krieg“ haben wir ein Geldsystem, welches durch den Zinseszins immer ein Ablaufdatum hat. Wer sinnstiftende Identität weder in dem Zerreißen noch in dem (Sich)Opfern für „etwas Übergeordnetes“ sieht, soll ein Zeialter definieren? Sie schreiben, Herr Mersmann, dass wahrer Heroismus in der Übernahme von Veranwortung für seine Mitmensch liegt, da kommen wir wieder runter in die Realität. Mit „begleitende“ Korruption komme ich nicht klar! Im Fußball, als zweiter Teil von panem et circenses, wird die Korruption als bestimmender Faktor von den Geldeliten eingesetzt.